Worte wider das Vergessen

Lesung mit Esther Bejarano

Gestern – am Holocaust Gedenktag – durfte ich die 95-jährige Ausschwitz-Überlebende Esther Bejarano auf einer Lesung erleben. Was für ein Geschenk! Vor ihrem unermüdlichen Engagement wider das Vergessen kann ich mich nur verneigen.

Esther Bejarano las, sang und erzählte – und jedes ihrer Worte ging unter die Haut. Ihre musikalische Begleitung: Sohn Joram und Rapper Kutlu Yurtseven, die „Microphone Mafia“.

Bejarano berichtete von ihrem Weg nach Ausschwitz – davon, wie ihr dort das Haar abrasiert und die Häftlingsnummer 41948 tätowiert wurde. Sie schilderte ihre Aufnahme ins Mädchenorchester – ein glücklicher Zufall, der ihr bessere Kleidung und Essen einbrachte und sie letztlich vor dem Tod bewahrte. Das Orchester musste zum täglichen Marsch der Arbeitskolonnen durch das Lagertor spielen, aber auch zur Begrüßung neuer Insassen.

Bejarano beschreibt den Lagerarzt Mengele, der Menschen mit einer einfach Handbewegung nach rechts in die Gaskammer schickte. „Schwenkte er die Hand nach links, so hatte man noch eine Galgenfrist. Niemand von uns wusste, wann es für ihn soweit war“, so die Zeitzeugin.

Weil sie zu einem Viertel „arisches Blut“ besaß – von ihrer Großmutter väterlicherseits – durfte Bejarano Ausschwitz im November 1943 verlassen. Zusammen mit etwa 70 anderen Frauen wurde sie in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück umgesiedelt, wo sie Montagearbeiten durchführen musste.

Nach Kriegsende machte Ester Bejarano es sich zur Lebensaufgabe, die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wach zu halten. Seither berichtet sie unermüdlich von ihren Erfahrungen im KZ.

Für mich deutet die Zunahme rechter Gewalttaten darauf hin, dass wir das Gedenken an die NS-Verbrechen verstärkt lebendig halten müssen. Und es gibt nicht mehr viele Holocaust-Überlebende, die dem unbegreiflichen Leid der Vergangenheit Gesicht und Stimme geben können. Deren persönliche Schilderung uns – wenn auch nur fragmentarisch – erfassen lässt, wofür die Vorstellungskraft sonst nicht reicht.

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